Michael Ende schrieb 1979 den Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur „Die unendliche Geschichte“.

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Öffentlichkeit,

Michael Ende schrieb 1979 den Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur „Die unendliche Geschichte“. Der Großteil der Handlung spielt in einer Parallelwelt, Phantásien genannt, die durch das „Nichts“ zerstört wird – immer größere Teile des Reiches verschwinden einfach, ohne dass etwas davon zurückbleibt.

Während ich in Vorbereitung auf den heutigen Tag die Haushaltsrede des Oberbürgermeisters studierte, staunte ich nicht schlecht, welch Parallelen zu Endes Jugendbuch sich auftaten.

Wie die Welt in dem Buch, wird auch die Rede des Oberbürgermeisters von einem großen Nichts bedroht. Die Inhaltslosigkeit mancher Passagen ist alarmierend. Die Tatsache, dass zu keinem der drängenden Probleme Karlsruhes ein Lösungsvorschlag gemacht wird, stimmt traurig.

Bei Michael Ende können wir zumindest mit dem Glücksdrachen Fuchur und dem Kämpfer Atréju mitfiebern, ob sie ihr Land retten werden. Bei der vorliegenden Rede des Stadtoberhaupts hat das Nichts bereits gewonnen.

Gleichzeitig mit dieser nihilistischen Rede kündigten Sie, Herr Dr. Mentrup an, in der nächsten Zeit „nicht so oft in Karlsruhe zu sein“. Herr Oberbürgermeister, Sie hinterlassen ein Nichts und verlassen das Schiff. Sie haben die Stadt in den Schuldensumpf geführt und übernehmen jetzt keine Verantwortung. So entsteht zum Beispiel der Eindruck, Sie haben die städtischen Gesellschaften nicht im Griff. Deren Defizite sind horrend gestiegen. Der vorliegende Haushalt ist in Schieflage. Die Finanzdezernentin weist sogar selbst darauf, dass nicht die Einmaleffekte von Corona oder Ukraine-Krieg daran schuld seien. Hören wollte die Mehrheit nicht. Im Rat gab die OB-Koalition eifrig Geld aus, schuf Stellen, richtete neue Budgets ein. In der Verwaltung hat man mit offenen Händen genommen.

Jetzt sollen wieder die lokale Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger die Elfenbeintürme des Rathauses bezahlen. Steuern und Abgaben schnellen in die Höhe, Service und Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger werden dezimiert.

Meine Damen und Herren,

gegen das Nichts hilft nur eine klare Haltung. Meine Fraktion und ich werden über Kultur, Sport und Soziales schützend die Hand halten. Wir sehen es nicht ein, dass jetzt wieder die freiwilligen Leistungen gekürzt werden sollen. In der Kultur drohen den bekannten Theatern existenzielle Einschnitte, das Kammertheater soll gar mehr als 15% seiner Leistungen entbehren. Im Bereich Bildung und Soziales knirscht es bei den Schulsanierungen und den Personalkosten der Träger der Wohlfahrt. Schon jetzt basieren große Teile der Leistungsfähigkeit auf dem Ehrenamt. In manchen Bereichen haben wir in den letzten 20 Jahren weder eine Erhöhung noch eine Inflationsanpassung vorgenommen. Da können, wollen und werden wir jetzt nicht mit der Streichorgie beginnen. Entsprechende Anträge werden wir stellen und unsere Unterstützung zu den Kürzungen müssen wir heute schon entziehen.
Ebenso für weitere Belastungen der Karlsruherinnen und Karlsruher. Die Bürgerinnen und Bürger sind durch Inflation, Energieversorgung und die Folgen der Corona-Pandemie bereits genug belastet. Viel zu oft schon wurde das Ausgabenproblem der Verwaltung zum Einnahmeproblem im Gemeinderat deklariert.
Da wir uns in diesem Rat als Serviceopposition verstehen, wollen wir Ihnen konkrete Vorschläge an die Hand geben:
Wir wollen den Blick auf den Klimaschutz richten. In diesem Rat gingen die Meinungen weit auseinander. Ein Teil wollte eine Priorisierung von Maßnahmen, ein anderer Teil wollte einfach alle Maßnahmen sofort. Wir fürchten, dass uns die Akzeptanz notwendiger Maßnahmen entgleitet, wenn wir weiterhin blindlings Geld ausgeben, ohne den Nutzen zu quantifizieren. Für die städtische Ausgabenpolitik bedeutet das, wie eingestellte Haushaltsmittel konsequenterweise auch an den richtigen Stellen eingesetzt und das beste Ergebnis erzielt werden kann.

Hierbei müssen öffentliche Gebäude wie Schulen, Sporthallen und Kindergärten ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Immer wieder haben wir es diskutiert und doch müssen wir immer wieder darauf zurückkommen: Sanitäre Anlagen in Karlsruher Schulen. Immer noch erreichen uns Berichte von Kindern, die die Pause nutzen, um unerlaubterweise zu Hause die Toilette zu besuchen. Und dabei geht es nicht um Gewalt oder Angst, sondern um den baulichen Zustand und damit verbunden die Hygiene. Hier müssen wir schnell investieren und ebenso schnell sanieren. Einige Schulen warten seit Jahren auf Neubauten bzw. Sanierungen, die den energetischen Anforderungen einer erfolgreichen und schlüssigen kommunalen Klimapolitik gerecht werden können.
Unser Appell: Verbinden wir die Modernisierung unserer Schulen mit den klimapolitischen Zielen und erreichen so Synergien zwischen Finanzen, Bedürfnissen und Akzeptanz in der Bevölkerung.
Beim Klimaschutz möchten wir erneut insistieren. Lassen Sie uns das knappe Geld so sinnvoll wie möglich einsetzen. Es wurden Stellen geschaffen, deren Nutzen für den Klimaschutz bis heute nicht belegt ist. Wir wollen die Maßnahmen umsetzen, die mit dem geringsten finanziellen Einsatz den höchsten Nutzen bei CO2-Einsparung und Nachhaltigkeit bringen. Gerne verweise ich an dieser Stelle nochmals auf unseren Antrag zu künstlichen Bäumen im Stadtzentrum oder der Anfrage zu Kleinwindrädern auf Hochhäusern.
Ein weiteres alltägliches Bedürfnis in unserer Stadt liegt mir und meiner Fraktion am Herzen. Seit 10 Jahren haben Kinder mit Vollendung des ersten Lebensjahres in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Gut, dass die meisten Kinder in diesem Alter noch nicht so eloquent reden können, sonst hätten wir 100.000de kleine Rechtsanwälte, die den Staat und die Kommune verklagen. Ich zitiere: „Der Ausbau von Kindergärten und Kindertagesstätten wird konsequent vorangetrieben“, sagt die Finanzbürgermeisterin. Diese Auffassung hat sie wahrscheinlich von ihrem immer optimistischen Kollegen, dem Sozialbürgermeister, übernommen. Den Familien in Karlsruhe zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Deutschland hat aus mehreren guten Gründen Kindern ein Recht auf einen Platz in einem Kindergarten versprochen. Ein Grund hierfür ist die Stärkung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Jedoch, so sehr wir uns um Gleichberechtigung bemühen, die derzeitige Realität sieht anders aus. Die Wahrheit im europäischen Vergleich ist, dass viel weniger Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktiv sind als beispielsweise in den Skandinavischen Ländern oder in Frankreich.
Der wichtigste Grund ist jedoch, dass Kindergärten nicht nur Betreuungs- oder Verwahrungsinstitutionen sind. Kindergärten sind durch tragfähige pädagogische Konzepte der wichtigste Teil der frühkindlichen Bildung.

Rund 1000 Kinder und die dazugehörigen Eltern in Karlsruhe sind ohne eine Kindertagespflege aufgeschmissen. Die Tagesmütter, deren privatem Bemühen es zu verdanken ist, dass eine Notlage derzeit noch abgemildert werden kann, tun sich wahrscheinlich schwer mit dem Optimismus des Sozialbürgermeisters. War es doch eine gemeinsame Initiative dieses Rates, die für eine erträgliche Erhöhung der Einnahmen gesorgt hat.

Karlsruhe hat glücklicherweise sehr viele private Träger von Kindertagesstätten. Ohne die gute Zusammenarbeit mit diesen Trägern könnten wir dem Rechtsanspruch der Kinder überhaupt nicht nachkommen. Dynamische Initiativen, neue Kindergärten zu etablieren, erleben keine Unterstützung durch das zuständige Rathaus.

Jedoch, was würde der günstigste KiTa-Platz nutzen, wenn man in dieser Kommune nirgends wohnen kann.

Meine Damen und Herren,

Wohnen in Karlsruhe wird langsam zu einem Luxusgut. Zur Miete zahlen Sie derzeit problemlos zehn bis teilweise achtzehn Euro für den Wohn-Quadratmeter. Die verschlafene Wohnraumschaffung der letzten Jahre hat diese Preise hochgetrieben. Bauprojekte erhalten zu langsam Genehmigungen, die Bürokratie und die Auflagen hemmen den Bau. Umso unverständlicher ist es, dass man in der Verwaltung offensichtlich der Auffassung ist, der Schwerpunkt der Investitionen der Volkswohnung liege nun mehr im Sanieren als im Neubau. Das ist falsch. Gegen den Wohnungsmangel gibt es nur ein Mittel: bauen, bauen, bauen. Auch wenn die Rahmenbedingungen schlechter geworden sind, so ist und bleibt die Bereitstellung von Wohnraum für die breiten Schichten der Bevölkerung die vornehmste Aufgabe der Volkswohnung. Ihr dabei sogar noch Eigenkapital zu entziehen und es in den Untiefen des Kämmereihaushaltes versinken zu lassen, ist ein Skandal.

Wie andere deutsche Städte unterliegt auch die Innenstadt Karlsruhes einem grundlegenden Wandel. Mit der zunehmenden Verschiebung der Bürotätigkeit ins Homeoffice verändert sich die tägliche Arbeitswelt vieler Menschen. Die Bereiche Wohnen und Arbeiten sind nun nicht mehr so klar getrennt. Auch das Einkaufsverhalten verlagert sich zunehmend von der Innenstadt in den virtuellen Online-Handel. Eine Entwicklung, die wir kritisch begleiten. Der strukturelle Leerstand, insbesondere hinsichtlich der Einzelhandelsflächen, ist gegenwärtig klar erkennbar. Hierbei muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass Karlsruhe schon jetzt Schwächen im Vergleich zu anderen deutschen Städten aufweist: Mit den über Jahre bestehenden Baustellen sowie einem Rückstau an Modernisierungen von Gebäuden, die nicht mehr verwendbar sind, sollte die Fächerstadt nun frühzeitig handeln, um wettbewerbs- und zukunftsfähig zu bleiben. Daher besteht für die Stadt Karlsruhe ein dringendes Handlungsgebot. Hierfür muss die Innenstadt wiederbelebt und stärker genutzt werden. Angesichts der zu beobachtenden Trends gelingt diese langfristige Vitalisierung der Karlsruher City nur, wenn mehr Menschen direkt vor Ort ihren Lebensmittelpunkt haben. Vermehrtes Wohnen in der Innenstadt trägt schließlich zur Reaktivierung und Stärkung des Zentrums auch unabhängig von Geschäftsöffnungszeiten bei. Die Wohnungsknappheit könnte hiermit ebenso abgefedert werden. Mit der Umnutzung von Flächen in Wohnungen in der Innenstadt muss keine zusätzliche Fläche versiegelt werden. Dies dient dem Klimaschutz. Zudem ist eine elementare Infrastruktur (ÖPNV, Supermärkte, Apotheken, Arztpraxen etc.) bereits vorhanden und durch den zentralen Wohnort einfacher und schneller für die Menschen erreichbar. Eine Stadt der kurzen Wege bzw. eine „15-Minuten-Stadt“ dient letztlich auch klimafreundlichen Mobilitätsformen.

Die Innenstadt Karlsruhes besteht etwa zur Hälfte aus Kerngebiet und zur Hälfte aus Wohn- oder Mischgebiet. Im Kerngebiet sind Wohnnutzungen zunächst nur untergeordnet möglich. Im Rahmen des sukzessiven rechtlichen Anpassungsprozesses, durch den nun auch in Kerngebieten die Umwandlung von leerstehenden Flächen in Wohnungen zunehmend ermöglicht wird, sollte diese wichtige stadtplanerische Thematik gezielter angegangen werden. Zunächst sollte deshalb eine Liste mit Misch- und Kerngebieten der Karlsruher Innenstadt erstellt werden, in denen mithilfe von Bebauungsplanänderungen grundsätzlich mehr Wohnnutzungen im Zentrum verwirklicht werden können. Mit der Umwandlung eines Teils des Kerngebiets in urbanes Gebiet sollen schließlich auch Möglichkeiten und Anreizstrukturen für private Eigentümer geschaffen werden, damit ein Pilotprojekt „Wohnen in der Innenstadt“ umgesetzt werden kann.

Noch ein Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir bei stockenden Projekten in Büro- und Geschäftslagen, wie zum Beispiel im Bereich Hauptbahnhof-Süd oder Entenfang, durch Bebauungsplananpassungen die Umlenkung auf Wohnungsbau anregen und zulassen würden?

Meine Fraktion und ich, wir wünschen uns eine gemeinsame Initiative für den Wohnungsbau. Das Angebot muss steigen, damit sich der Mietmarkt entspannt. Wir wollen nicht mehr erleben, dass Studierende in der Innenstadt campen, um auf den Wohnungsmangel aufmerksam zu machen. Wir wollen es nicht erleben, dass qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sorge um ihre Wohnungen sind. Das riskiert den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt. Das sind Gründe, weshalb die Bevölkerung in unserer Kommune schrumpft. Das sind weiche Wirtschaftsfaktoren, die zur Abwanderung großer Arbeitgeber aus Karlsruhe führen.

Hier vor Ort können wir noch einen anderen Beitrag zur Attraktivität unserer Kommune leisten:

Der öffentliche Raum erfährt nicht die Wertschätzung, die ihm gebührt und es ist leider die Stadt selbst und ihre Gesellschaften, die ihn nicht pfleglich behandeln. Vor sich hingammelnde ausgetrocknete Brunnen, Bretterverhaue an Haltestellen, lieblose Pflege und Gestaltung von Papierkörben, Schaltkästen, Beleuchtungen, zurückgelassene rostige Rohre als Abspannmasten, beschmierte öffentliche Gebäude, Rolltreppen oder Abgänge – um nur einiges wenige zu nennen – verunstalten die Stadt zusehends. Ich erinnere an unsere Initiative zum Europaplatz. Dass dann die eigene Disziplin der Bürgerinnen und Bürger bei der Sauberkeit leidet, ist die Folge. Warum funktioniert das in anderen, ärmeren Städten, aber in Karlsruhe nicht? Weil es keine Frage des Geldes ist, sondern der Haltung!
Lebensqualität und Sicherheit sind Geschwister. Innenstadtbereiche, in denen sich Menschen unwohl oder gar ungeschützt fühlen, bedrohen den Zusammenhalt. Lassen Sie uns das nicht aus den Augen verlieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der soziale Zusammenhalt ist gefährdet. Bereits erwähnt habe ich marode Schulen, fehlende KiTa-Plätze und knappen Wohnraum, aber die Liste geht weiter.

Unsere Bäder öffnen später und schließen früher. Manche stehen sogar zur Disposition. Wir greifen damit in das Freizeitverhalten des Einzelnen ein. Wir tangieren das private Lebensumfeld und machen es den Menschen in diesen Zeiten noch schwerer. Mit erhöhten Gebühren und Erhöhungen von Abgaben schrauben wir bei manchem an der Existenzspirale. Machen wir so weiter, dann haben wir den Hahn zugedreht.

Es schockiert mich, dass bei öffentlichen Kundgebungen gerne die linke Mehrheit in diesem Rat beschworen wird, aber bei der Sorge um die Menschen vor Ort wird hier rigoros gestrichen und geschwiegen.

Meine Damen und Herren,

der Entertainer HaPe Kerkeling sagte in der Talkshow von Maybrit Illner, ich zitiere: „Mir kommt es so vor, als wären wir am Vorabend von Etwas, das ich nicht miterleben möchte.“ Ich schätze Herrn Kerkeling und lieber hätte ich Ihnen heute einen Satz aus einem Kabarett von ihm zitiert. Leider teile ich seine Auffassung.

Wenn wir es zulassen, dass Wohnen, Arbeitsmarkt, Klima, Gesundheit, lokale Wirtschaft, Energieversorgung, Kultur, Bildung und Soziales die Themen der Verteilungskämpfe werden, dann verlieren wir den Zusammenhalt unserer Stadtbevölkerung. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung, wollen wir die Mitte unserer Gesellschaft nicht verlieren.

Abschließend möchte ich unseren Weg für den Haushalt zusammenfassen:

– Keine Kürzungen bei Kultur, Sport oder Sozialem.
– Keine weiteren Belastungen mehr im Sinne von Gebühren und Abgaben für die Bürgerinnen und Bürger.
– Investitionen in die Schulen.
– Investitionen und Ausbau der KiTa-Plätze in Karlsruhe.
– Investitionen in den Wohnungsbau.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie ich gestartet habe, so möchte ich auch mit Michael Ende schließen: Aus dem Buch „Die unendliche Geschichte“:
„Doch manche Dinge kann man nicht durch Nachdenken ergründen, man muss sie erfahren.“

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Videodatei: https://kacloud.karlsruhe.de/index.php/s/3F2BHyZond8Qaa2
Quelle: Stadt Karlsruhe

 

Die unendliche Geschichte… eines endlichen Haushalts! – Rede zum Doppelhaushalt 2024/25